Stell dich nicht so an!

Reiß‘ dich doch einfach mal zusammen! Hör auf mit dem Mimimi! Du bist doch so stark, dann schaffst du das doch spielend!
Hast du solche Sätze (oder eine der vielfältigen Varianten) auch schon zu hören bekommen? Oder sagst du dir sowas auch schon mal selbst?
Ich habe diese Sätze heute alle benutzt – allerdings ausnahmsweise mal nicht für mich, für gar keinen Menschen. Nein, heute musste mein Staubsaugroboter dran glauben.

Ich kam von der Gassirunde zurück und hörte nur sehr aufdringlich „piiiep“ und bekam per App die Meldung: „Bitte Weg freiräumen!“ Hä, der steht doch im Schlafzimmer neben der Tür, was soll denn da schon stören?
Also ging ich hoch und sah das:

Und dann dachte ich mir direkt: „Was für ein Blödsinn macht das Ding denn heute schon wieder? Bisschen hin und her ruckeln und schon geht’s doch an der Ecke vorbei. Nu stell‘ dich mal nicht so an!“
Jetzt stell dich nicht so an!
Da musste ich mein Helferlein befreien – es waren nur ein paar Zentimeter, ein kleines Hindernis und das hatte das Vorhaben, zu saugen, direkt zu Beginn völlig zum Scheitern gebracht. Joah. Robbie kam selbst nicht aus seiner prekären Situation. Für eine Außenstehende wie mich war es völlig überzogen, da so ein Palaver draus zu machen.
Wo ist die Parallele zum Leben? Aus meiner Sicht gesprochen: Nein – ich stelle mich nicht an! Nein – ich schaff’s nicht alleine! Ich brauche Hilfe! Also manchmal! Kann mal jemand den Weg für mich freiräumen?!
Ganz oft versuche ich natürlich, solche klitzekleinen Hindernisse selbst aus dem Weg zu räumen.
In manchen Situationen können sich solche vermeintlich kleinen Hindernisse riesengroß anfühlen. Dann „muss“ man jemanden um Hilfe fragen. Ja, das darf man dann wirklich. Auch ich muss mir das ab und zu mal eingestehen. Zum Beispiel wenn der Wäschekorb zu schwer ist oder das Einkaufskörbchen oder oder oder.
Ich glaube, ich spreche hier für die meisten Fatigue-Betroffenen. Nicht nur wahrscheinlich, sondern auch für fast alle anderen chronisch Kranken.
Um Hilfe zu bitten fällt schwer.
Gerade konnte man das noch schaffen und plötzlich geht’s nicht mehr. Sich das einzugestehen, ist oft ein langwieriger Prozess. Da hilft dann kein „Du bist doch stark!“ oder „Reiß‘ dich zusammen!“ Weder von dir und deinen inneren Stimmen noch von irgendwelchen Außenstehenden. Schon gar nicht von Menschen, die nur sehr peripher in deinem Leben sind. Vielleicht sehen die nur, dass du dieses Zentimeterchen festhängst. Dass es für dich weit mehr bedeutet, können sie nicht erfassen. Und dann rutscht es ihnen raus. Das soll keine Entschuldigung sein, es ist ein Versuch der Erklärung.
Und deshalb sage ich dir: Lass dir nicht einreden, dass du dich nur mehr anstrengen musst und alles wird wieder wie vor deiner Erkrankung. Neijen – wird es nicht. Das heißt nicht, dass es komplett schei*e ist, dass du nichts mehr wert bist, dass jetzt alles zu Ende ist. Das ist natürlich auch Quatsch. Es heißt nur, dass du dir erlauben darfst, um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Und du dich nicht zusammenreißen musst, nur um so zu funktionieren, wie andere es erwarten.
Darf ich dir noch ein bisschen zu meiner ganz persönlichen Situation mit der Fatigue erzählen?
Du kannst es dir vielleicht vorstellen, dass es mir als Anfang Vierzigerin total schwer fiel, zu akzeptieren was da mit mir los ist. Während der Akutbehandlungen mit OP, Chemo und Bestrahlung schon nicht (auch wenn eine Erschöpfung dabei völlig normal ist) und erst recht nicht als der „Mist“ nicht wegging und ich nach einer „angemessenen“ Rekonvaleszenzzeit immer noch nicht wieder so fit war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich wollte wieder dort anknüpfen bevor der Krebs in mein Leben gepoltert war.
Tja nun, meinen euphorisch begonnenen Job musste ich scheibchenweise aufgeben. Erst von 100% auf 75%, dann auf 50% und dann als Langzeitkranke in die Erwerbsminderung also auf 0.
Und trotzdem ich ja jetzt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehe, fällt es mir auch im Alltag und Haushalt oft schwer, die Aufgaben zu erledigen. Da hilft für mich als Lösungsfinderin nur ein guter Plan und die Erkenntnis, dass ich den Plan auch mal Plan sein lassen darf. Damit ich meinen eigenen Stolz nicht aufgebe, habe ich mir meine Aufgaben in kleine Häppchen aufgeteilt. Und das so, dass ich nach maximal 20 Minuten fertig bin – nicht nur im übertragenen Sinn. Außerdem gibt es ein paar technische Helferlein – Robbie gehört dazu und macht seinen Job zu 95% echt gut.
Natürlich freue ich mich auch über Unterstützung – am liebsten wenn ich gar nicht erst darum bitten muss. Und weißt du, was lustig ist? Ich werde ärgerlich, wenn mein Mann mir bei Tätigkeiten helfen will, die ich selbst schaffe wie zum Beispiel Spülmaschine ausräumen. Der Ärger hält aber nur kurz, denn dann bin ich ein bisschen gerührt und freue mich, dass es schon erledigt ist.
Und genau darum geht es. Eine ausgewogene Mischung aus Selbstständigkeit und Unterstützung. Ebenso eine Mischung aus Stolz, es geschafft zu haben, ein Hindernis aus dem Weg geräumt zu haben und aus Freude, Probleme nicht alleine bewältigen zu müssen.
Dafür braucht es auch eine gute Mischung von einem selbst: Akzeptanz und Zulassen. Und Wohlwollen – für die Helfenden und vor allem für sich selbst.
Wenn man das irgendwann erkannt hat und für sich umsetzen kann, dann wird auch der Alltag mit einer Erkrankung wie einer Fatigue einfacher.
Übrigens: den Vorschlag von meinem Schatz, eine Haushaltshilfe zu engagieren, habe ich erstmal abgeblockt. Das können wir immer noch machen, wenn die Fatigue sich weiter verschlimmert.
Wusstest du, dass sich eine tumorbedingte Fatigue auch mit Pacing und anderen Methoden weiter verschlimmern kann? Darüber schreibe ich demnächst mal etwas. Denn irgendwie gibt’s hier noch nicht genug Infos über Fatigue.
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Bis bald, deine
